EKG-Quickies – Nerdfallmedizin (2024)

Der Melder geht, du liest: „Thoraxschmerzen, mittel.“ So lautet die Einschätzung des Disponenten der Leitstelle. Selbst mit Alarm kommt ihr nur mühsam durch den Feierabendverkehr voran. Als du vor Ort bist, gibt der Patient Ende 40 an, dass er vorhin Thoraxschmerzen hatte. „Vorhin“ denkst du und verbindest ihn mit dem Basis-Monitoring, zu dem bei diesem Krankheitsbild auch das 12-Kanal-EKG gehört.

Als er „112“ gewählt hatte, lagen dieThoraxschmerzenauf der rechten Seitebei8/10.Sie seien atemabhängig gewesen.

Atemabhängige Schmerzen. Du denkst anPleuritis, vielleichtauch einPneumothorax und auskultierst. Atemgeräusche sind auf beiden Seiten gleich, du vernimmst keine Rasselgeräusche.

Du leitestnunfolgendes12-Kanal-EKG ab:

EKG-Quickies – Nerdfallmedizin (1)

Du begutachtest sorgfältig das EKG.Bevor du dich weiter festlegen willst, erfragst du noch nach Risikofaktoren (er raucht) und nach der Familienanamnese (Vater mit Mitte 50 Myokardinfarkt).

Während du die Anamnese erhoben hast, hatte die Auszubildendedas EKG noch genauerangeschautund fand die Ableitungen III,aVFund II„irgendwieauffällig“. DeranwesendePraxisanleiter hatte daraufhin bei diesen Ableitungen folgende Markierungenhinterlegt:

EKG-Quickies – Nerdfallmedizin (2)

„Mini-Hebung in III“ lächelt er…und die Auszubildende verstummt.

Du bist nun ratlos, als Transportführer sollst du entscheiden. Im Team kommt die Frage auf, ob ein Transport zwingend notwendig ist. Mittlerweile möchte auch der Patient nicht mehr mit in die Klinik, da er nun vollkommen beschwerdefrei ist.

Du fasst zusammen: Beschwerden sind auf der „falschen“ Seite, nun auch schon vorüber, für Pneu gibt es keinen Anhalt. Du siehst folgende Optionen:

  • Zu Hause lassen, wieder anrufen, wenn Beschwerden auftreten und morgen beim Hausarzt melden.
  • Ins Krankenhaus nehmen undThoraxschmerzenunkl. Genese abklären lassen
  • Ins KH nehmen undACS(aber kein STEMI) abklären lassen, ggf. ASS geben
  • Ins KH nehmen, dort Voranmeldung als STEMI zur akutenHerzkatheterbereitschaft, Behandlung mit ASS / Heparin

Du entscheidest dich für…. (Fortsetzung weiter unten).

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

Ihr beratet euch im Team und möchtet ihn transportieren. Als er weiterhin darauf besteht, zu Hause zu bleiben, beginnst du, ihn über die Risiken aufzuklären. Dabei mischt sichseineEhefrau ein und empfiehltihmmehr als deutlich die Mitfahrt. Dieser stimmt daraufhin zu.

Ihr hattet übereine Therapie mit ASS und Heparindiskutiert. Da du aber einen Pneumothorax nicht sicher ausschließen kannst, beginnst du keine medikamentöse Therapie.Ihr fahrtden Patienten, bei dem ihr kein ABCD-Problem feststellen konntet,ohne Sonderrechtebeieiner vermuteten Fahrtdauer von 20 min.

Auf dem Transport beginnen die Schmerzen nach 10 min. wieder. Sie seien jetzt sogar noch stärker als vorhin und strahlen in den Hals aus.

Dudenkst an zwei Optionen:

➔Anhalten, EKG schreiben

oder

➔Weiterfahren, in 10 min. sind wir ja da

Du entscheidest dich für…. (Fortsetzung weiter unten)

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

Du lässt den RTW aneiner sicheren Stelle anhalten, ihr schaltet zur besseren Sichtbarkeit Blaulicht ein.Nun leitest du erneut ein 12-Kanal-EKG ab, dieses zeigt:

EKG-Quickies – Nerdfallmedizin (3)

Du bewertest das EKG folgendermaßen:

Signifikante ST-Hebungen in III,aVFund II.

Jetzt lächelt dieAuszubildende.

Du änderst dein Vorgehen folgendermaßen:

  • ASS, Heparin
  • Änderung der Voranmeldung:inferiorerSTEMI. Das EKG wirdvorabin die Klinik geschickt.
  • weiter mit Sonder- & Wegerechten
  • Analgesie

Ihr trefft auf ein gut vorbereitetes ZNA-Team, die Kardiologin ist ebenso verständnisvoll und kommt für diesen Fall extra aus dem Hintergrunddienst in die Klinik.

Es zeigt sich eine hochgradige RCA-Stenose, die mittels PTCA undStentingbehandelt wird.

Im Nachhinein nehmt ihr das 1. EKG noch einmalextra-nerdigunter die Lupe:

EKG-Quickies – Nerdfallmedizin (4)

Es liegen tatsächlich (nicht signifikante) ST-Hebungen in III,aVFund II vor. Diese entsprechen zwar nicht den STEMI-Kriterien, können aber dennoch hinweisgebend auf einen akuten Koronarverschluss sein. Solche EKGs werden okklusiver Myokardinfarkt (OMI) genannt und diese Patienten benötigen ebenfalls eine umgehendeHerzkatheteruntersuchung.

Außerdem sind auf der „gegenüberliegenden“ Seite ST-Senkungen zu sehen (in diesem Fall in I undaVL). Man sollte bei Detektion von (nicht-signifikanten) ST-Hebungen immer nach kontralateralen ST-Senkungen suchen, die die Diagnose eines OMI unterstützen können.

Weiterhin sieht man in der Ableitung III ein biphasisches T (roter Kreis). Dieses kann ein Hinweis auf ein akutes Koronarsyndrom mit passagerem Koronarienverschluss sein, siehe auch hier.

Zudem ist der vierte Schlag eine VES, in der sich ST-Hebungen in III und aVF zeigen und auch die ST-Negativierungen in I und aVL deutlich zutage treten. Da ihr euch nicht sicher seid, ob das in VES überhaupt zu verwerten ist, macht ihr eine Internetrecherche und findet heraus, dass das sehr wohl möglich ist. Siehe im Smith ECG Blog

Dort steht u.a.(Achtung: Extra-nerdig), dass bei rechtsschenkelblockartiger Konfiguration der VES die ST-Strecke auf der gegenüberliegenden Seite von R´ sein sollte, d.h. gesenkt. Aber in diesem Fall ist sie erhöht als konkordante ST-Hebung. Dieses ist ein sehr spezifisches Zeichen eines OMI.

Ihr überlegt gemeinsam, was ihr hättet anders machen können und kommt zu dem Schluss, dass ihr das EKG von Beginn an telemedizinisch hättet bewerten lassen können (in die Klinik oder – falls vorhanden – Telenotarzt). Ansonsten arbeitet ihr im De-Briefing auch positive Punkte heraus, insbesondere die Entscheidung, während des Transports anzuhalten und ein erneutes EKG zu schreiben, bewertet ihr als sehr gut.

Learning points:

Thorakale Beschwerden unklarer Genese sollten grundsätzlich eine weitere Abklärung mit Verlaufs-EKG und Troponin-Bestimmung in der Klinik nach sich ziehen. Erst recht gilt das, wenn die Beschwerden stark gewesen sind und kardiovaskuläre Risikofaktoren vorhanden sind (besonders Nikotinabusus!).

Im Verlauf und speziell bei Beschwerdeänderung sollte unbedingt ein erneutes 12-Kanal-EKG angefertigt werden, um ggf. dann aufgetretene ST-Hebungen nachweisen zu können.

Schmerzen auf der rechten Seite können sehr wohl hinweisgebend auf ein kardiales Ereignis sein. (Laut einer Studie [allerdings aus 1990] ist die Wahrscheinlichkeit für ein ACS bei rechtsseitigen Schmerzen sogar größer als bei an anderen Stellen lokalisierten Schmerzen. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/2255353/ )

Literaturhinweis:

Grautoff S, Fessele K, Fandler M et al. Coronary Circulationin der EKG-Diagnostik. Notfall Rettungsmed 23, 457–459 (2020). https://doi.org/10.1007/s10049-020-00729-0

EKG-Quickies – Nerdfallmedizin (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Zonia Mosciski DO

Last Updated:

Views: 6487

Rating: 4 / 5 (51 voted)

Reviews: 82% of readers found this page helpful

Author information

Name: Zonia Mosciski DO

Birthday: 1996-05-16

Address: Suite 228 919 Deana Ford, Lake Meridithberg, NE 60017-4257

Phone: +2613987384138

Job: Chief Retail Officer

Hobby: Tai chi, Dowsing, Poi, Letterboxing, Watching movies, Video gaming, Singing

Introduction: My name is Zonia Mosciski DO, I am a enchanting, joyous, lovely, successful, hilarious, tender, outstanding person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.